Selbstjustiz im Netz: Wenn digitale Fahndungsaufrufe zum Bumerang werden

Lesezeit: 4 minDatenleckSonstiges
Ein Mann im Hoodie und Maske sitzt am Laptop und beschäftigt sich mit Internet-Selbstjustiz.©YakobchukOlena - iStock

Gut gemeint, aber gefährlich. Digitale Fahndungsaufrufe können rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Sie werden überrascht sein: Das betrifft auch scheinbar banale Suchaufrufe.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Ein digitaler Fahndungsaufruf kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

  • Ebenso können Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche im Raum stehen.

  • Auch eine Anstiftung zu einer Straftat kommen in Betracht.

Fahrraddieb auf frischer Tat bei Youtube

Ein Ladeninhaber überwachte das Geschehen vor seinem Geschäft mit einer Kamera. Pech für einen Fahrraddieb. Das Video zeigte, wie der Mann das Schloss eines vor dem Laden abgestellten Rades aufbrach. Der Ladeninhaber veröffentlichte das Video auf Youtube. Der Dieb stellte sich daraufhin bei der Polizei.

Solche und ähnliche Fälle gibt es immer häufiger: Menschen suchen mit Fotos oder Videos auf Facebook und Co. nach vermeintlichen oder mutmaßlichen Täter:innen – darunter der vergleichsweise harmlose Fahrraddieb bis zum Mörder.

Die Community wird aufgerufen, den Beitrag zu teilen, was teils rasend schnell passiert. Cyberkrieg-Forschende sprechen vom „neuen Hype“: Es geht um die digitale Selbstjustiz.

Nicht immer sind die abgebildeten Personen wie im Fall des Fahrraddiebes auf der Überwachungskamera aber auch tatsächlich schuldig.

Strafverfolgung ist den Ermittlungsbehörden vorbehalten

Aber die digitale Selbstjustiz ist nicht legal. Die Polizei warnt immer wieder vor solchen privaten Fahndungsaufrufen.

Öffentlichkeitsfahndungen sind den Ermittlungsbehörden vorbehalten. Dazu zählen vor allem Polizei und Staatsanwaltschaft. Das hat einen guten Grund: Solange jemand nicht rechtskräftig verurteilt worden ist, gilt sie oder er in Deutschland als unschuldig. Die Unschuldsvermutung leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz) ab und findet sich ebenfalls in den Verfassungen der Länder (zum Beispiel Art. 53 Abs. 2 der Verfassung des Landes Brandenburg).

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Die Messlatte liegt hoch. Polizei und Staatsanwaltschaft dürfen nur bei schweren Straftaten eine Öffentlichkeitsfahndung starten. Vor der Veröffentlichung muss eine Richterin oder ein Richter die Fahndung in der Regel anordnen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass tatsächlich auch konkrete Hinweise gegen die gesuchte Person bestehen. Nur dann ist die Fahndung mit Bildern oder Videos des vermeintlichen Täters oder der Täterin zulässig.

Sind private Fahndungsaufrufe strafbar?

Solche privaten Fahndungsaufrufe können strafbar sein, denn sie verletzten verschiedene Rechte der oder des Betroffenen. Dazu zählt das Persönlichkeitsrecht. Wird ein Foto oder Video von der Person im Netz verbreitet, ist das Recht am eigenen Bild meist verletzt. Denn auch eine Straftäterin oder ein Straftäter haben ein Recht am eigenen Bild.

Das Recht am eigenen Bild ist immer dann verletzt, wenn die abgebildete Person der Verbreitung nicht zugestimmt hat. Nur in wenigen Ausnahmen geht es auch ohne diese Zustimmung. Die oder der Betroffene kann auf Unterlassung und Schadensersatz klagen.

§ 33 Kunsturhebergesetz (KUG) sieht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor, wenn ein Bildnis ohne die Zustimmung verbreitet wird oder die sehr engen Ausnahmefälle des Gesetzes nicht greifen.

Verleumdung, üble Nachrede, Beleidigung?

Aber auch Straftatbestände kommen in Betracht. So zum Beispiel die Verleumdung (§ 187 Strafgesetzbuch). Dies ist immer dann der Fall, wenn in dem Fahndungsaufruf der oder dem abgebildeten angeblichen Straftäter:in Taten unterstellt werden, obwohl die oder der Verbreitende weiß, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Für die Verleumdung drohen Geldstrafe oder bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.

Je nachdem, wie der private Fahndungsaufruf formuliert worden ist, kommt auch eine Beleidigung (§ 185 StGB) oder eine Üble Nachrede (§ 186 StGB) in Betracht.

Anstiftung zu Straftaten

Auch kann ein solcher Fahndungsaufruf andere dazu anstiften, eigenmächtig zu handeln und möglicherweise Straftaten zu begehen, wie zum Beispiel eine Körperverletzung oder eine Sachbeschädigung. Das kann rechtliche Folgen für die Person haben, die den Aufruf veröffentlicht hat. Durch einen solchen Post haben die Veröffentlichenden das weitere Geschehen nicht mehr in der Hand.

Unschuldige werden zur Zielscheibe

Neben den Straftatbeständen und weiteren Gesetzen, gegen die bei einem solchen privaten Fahndungsaufruf verstoßen wird, ist die Veröffentlichung solcher Posts auch moralisch höchst bedenklich und gefährlich. Denn dadurch können die Betroffenen, die vielleicht doch nicht eine bestimmte Tat begangen haben, Opfer einer Hetzjagd im Netz werden.

Der Ruf wird zerstört. Sind solche Anschuldigungen erst einmal in der Welt – beziehungsweise im Netz unterwegs – verschwinden sie so schnell nicht wieder.

"Harmlose" Suchaufrufe nach einem Verkehrsunfall

Auch nach einem Autounfall, bei dem die oder der Unfallverursacher:in flieht, ist ein öffentlicher Suchaufruf nicht zu empfehlen. Denn wenn die oder der Verursacher:in auf dem Bild zu sehen ist, wird das Persönlichkeitsrecht verletzt. Auch darf nicht das Kennzeichen oder andere identifizierende Merkmale sichtbar sein.

Melden Sie Hinweise für eine Straftat der Polizei

Haben Sie Hinweise auf eine Straftat, können Sie diese der Polizeidienststelle vor Ort telefonisch oder persönlich melden. Strafanzeigen können Sie auch online stellen. Eine Übersicht der Onlinewachen der Polizeibehörden der Länder finden Sie hier. In akuten Fällen wählen Sie die 110.

Übrigens: Das Teilen von Fahndungsaufrufen durch die Polizei oder Staatsanwaltschaft ist rechtlich unbedenklich.

Lesen Sie unseren Ratgeber zum Datenleck.

Anna Kristina Bückmann

Anna Kristina Bückmann

Mit ihrem Fachwissen als Volljuristin beantwortet sie für meinrecht.de die alltäglichen Rechtsfragen unserer Leser:innen.

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